Die Flucht nach Ägypten - Sudetendeutsche Landsmannschaft Bayreuth

Sudetendeutsche Landsmannschaft
Kreisgruppe Bayreuth
Hauptmenü
Direkt zum Seiteninhalt
Hauptmenü

Die Flucht nach Ägypten

Neuigkeiten
Die Flucht nach Ägypten"
ein böhmisches Weihnachtsmärchen von Otfried Preußler
herunter geladen von der Homepage von Radio Prag

Die Krippe im Stall von Bethlehem - das Inbild weihnachtlichen Friedens. Ein Friede, an dem sich die Heilige Familie selbst aber nur kurz freuen konnte. Denn schon trachtete der missgünstige König Herodes dem lieben Jesulein nach dem Leben - es drohte höchste Gefahr. Da aber erschien ein Engel des Herrn dem biblischen Nährvater Josef und trug ihm auf, mit Maria und dem Jesuskind nach Ägypten zu fliehen. So berichtet es das Matthäus-Evangelium in wenigen Versen. Nicht schwer vorzustellen, dass dahinter einer dramatische Geschichte steckt - zumal wenn der Weg der Heiligen Familie mitten durch das tief verschneite Königreich Böhmen führt. Otfried Preußler hat diese Geschichte erzählt. Thomas Kirschner stellt seinen wunderbaren königlich-böhmischen Weihnachtsroman "Die Flucht nach Ägypten" vor.ein Märchen von Otfried Preußler.
"Der Weg von Böhmen nach Ägypten muss damals, in jenen heiligen Zeiten, durch Königreich Böhmen geführt haben, quer durch den nördlichen Teil des Landes, bei Schluckenau etwa herein in das böhmische Niederland, dann nicht ganz bis zum Jeschken hinum, dann weiter im Vorland des Iser- und Riesengebirges (...) und zuletzt auf der Alten Zollstraße hinaus ins Schlesische, wo es dann nach Ägypten nicht mehr weit gewesen ist."
Mit einem geographischen Abenteuer beginnt für den Leser die Geschichte der Heiligen Familie auf der Flucht nach Ägypten, so wie Otfried Preußler sie aufgeschrieben hat. Der Vater vom Räuber Hotzenplotz, von Krabat und der Kleinen Hexe wurde 1920 im nordböhmischen Reichenberg, dem heutigen Liberec geboren. Zu Fuß nach Ägypten kann man von dort aus heute nicht mehr ohne weiteres pilgern. Wer daraus aber schließen möchte, dass das auch ehedem so war, der muss natürlich bedenken, dass sich die Reisewege seither womöglich verschoben haben können und dass überhaupt zu biblischen Zeiten die heutigen Karten noch nicht in Gebrauch waren.
"Und drittens jedoch und hauptsächlich wird man sich fragen müssen, wie denn der heilige Josef seinerzeit, auf der Flucht vor dem König Herodes, überhaupt mit dem lieben Jesulein und der Muttergottes hätte im Königreich Böhmen durchkommen können, wenn vormals der Weg von Bethlehem nach Ägypten nicht in der oben beschrieben Weise verlaufen wäre. Und durchgekommen, im Königreich Böhmen, das sind sie ganz ohne Zweifel, nämlich es fehlt nicht an Zeugen, die das bekundet haben, darunter auch meine beiden Großmütter."
Bei ihrer Flucht hat die Heilige Familie aber nicht nur mit den Tücken des böhmischen Winters und der tief verschneiten Berglandschaft zu kämpfen, angesichts derer sich wenigstens der Heilige Josef mehr als einmal zu einer heißen Biersuppe in eines der Gasthäuser am Wegrand wünscht. Den Schergen des Herodes sind sie mit dem Übertritt ins Böhmische zwar glücklich entkommen, aber der missgünstige Herrscher hat sich bereits nach Wien gewandt, an Kaiser Franz Joseph, und per dringlichem Telegramm die Auslieferung der bethlehemitischen Wandersleute verlangt. Da man sich aber bekanntlich mit solcherlei Dingen nichts als Ärger einhandelt, bleibt die geheime Mission schließlich am k.k. Gendarmeriepostenkommandeur Leopold Hawlitschek aus der Gemeinde Hühnerwasser hängen.
Aber nicht nur die k.k.-Bürokratie setzt sich knirschend in gemächliche Bewegung, sondern auch Himmel und Hölle, wobei sich in Aufbau und Funktionsweise alle drei erstaunlich ähneln. Während der Erzengel Gabriel - nicht ganz streng nach den Worten der Schrift - in Gestalt des Esels die Heilige Familie führt, schicken die Höllenfürsten den Mittleren Oberteufel Pospisil, damit er in den Polizeihund Tyras einfährt und das Heil der Welt auf ewig vereitelt. Natürlich geht letztendlich alles gut aus - so gut jedenfalls, wie es das richtige Leben und die Verhältnisse der Monarchie erlauben. Aber schließlich darf man nie vergessen: Im k.k. Gendarmeriewesen ist nichts unmöglich.
Stoff genug also für eine "wahrhaftige und genaue Beschreibung sämtlicher Vorfälle, Zufälle und Ereignisse (...) welche sich damals beim Durchzug der bethlehemitischen Wandersleute im Königreich Böhmen begeben haben", wie es der Untertitel des Buches verspricht. So trifft der Leser Kleinhäusler, Leineweber und Holzweiber aus dem Erz- und Riesengebirge, aber auch den Räuber Schmirgelseff, den Kantor Linek aus Münchengrätz, den Baron Liebig mit seiner Selbstfahrkutsche Benz Viktoria, und natürlich Rübezahl nicht zu vergessen, aber auch den zweigeschwänzten böhmischen Löwen und alle Landesheiligen.
Und ganz nebenbei klärt sich auch das geographische Rätsel auf, warum der Weg von Bethlehem nach Ägypten nun mitten durchs weihnachtlich-winterliche Böhmen führt. Als die Heilige Familie ein Nachtlager bei den Möldnerschen in Niemes findet, da steht dort in der Stube nämlich eine der typischen mechanischen Tuchmachkrippen, die einen Großteil des Raumes einnimmt, mit Uhr- und Pfeifenwerk und hunderten Figuren. Den Mittelpunkt, den bildet unter einem Goldpapierstern, der von der Decke hängt, selbstverständlich der Stall von Bethlehem mit den Figuren der Heiligen Familie:
"Und es tragen natürlich die Muttergottes, der heilige Josef, die Könige und ihr Tross samt den Anbetungshirten, welche im unmittelbaren Umkreis des Stalles von Bethlehem sich befinden, lauter Gewänder von biblischem respektive von königlich morgenländischem Zuschnitt; aber je weiter in Heilige Land hinein man sich umschaut, desto spärlicher werden nicht nur die Palmen dort, währenddem Fichten, Weiden und Föhrenbäume mehr und mehr überhand nehmen in der Landschaft, sondern es ist auch im gleichen Maße die biblische Tracht immer seltener unter den Leuten anzutreffen. Schon bei den Wanderhirten, welchen der Engel des Herrn im Gefilde erscheint, überwiegen die schwarzen Filzhüte mit den breiten Krempen sowie die beim böhmischen Landvolk üblich gewesenen Männerhosen aus grobem Tuche, welche man von den Knien abwärts mit breiten Leinenstreifen umwickelt oder in dicke wollene Strümpfe hineingesteckt hat. Mit anderen Worten: Es nimmt auf der Möldnerschen Krippe (wie überhaupt auf den dortigen Tuchmacherkrippln) das Heilige Land einen rasch immer stärker werdenden böhmischen Einschlag an, während schon bald die biblischen Züge ihm gänzlich abhanden kommen, aus welchem Umstand hinwiederum klar und augenscheinlich hervorgeht, dass seinerzeit, wie wir von jeher vermutet haben, das Heilige Land mit dem Königreich Böhmen in engster Nachbarschaft sich befunden hat."
Das Buch ist randvoll mit Zeit- und Lokalkolorit des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Böhmen, inspiriert von der naiven, aber herzenswarmen Volksfrömmigkeit der einfachen Menschen, wie sie vor einem guten Jahrhundert im Erz- und Riesengebirge gelebt haben mögen.
Und eigentlich sind es ihre Geschichten, die Otfried Preußler in barock-böhmischer Sprache und in immer neuen Abschweifungen erzählt: die Geschichten der Bauern und Mägde, der Gastwirte und Tuchweber, denen Maria, Josef und das liebe Jesulein auf dem Weg nach Ägypten begegnen. Und es dürfte nicht die Heilige Familie sein, wenn es dabei ganz ohne jedes Wunder zuginge. Ein Wunder, das widerfährt auch der Möldner-Familie in Niemes, die die Wanderleute so gastlich aufgenommen hat. Allerdings sind die Wege Gottes nicht mit dem Lineal gezogen und schon gar nicht leicht durchschaubar.
Und so hat das Wunder auch nicht das kaputte Flötenwerk an der Möldnerschen Krippe betroffen,
"sondern den Franzl, den in der galizischen Garnison stationiert gewesenen und, wie wir wissen, von der Gefahr bedrohten, dass mit der Zeit er ihnen dort hinten vielleicht zum Säufer wird. Aber gerade das ist er nicht geworden (aus himmlischer Gnade und Vorsehung, wie die Möldnerin es vollkommen richtig erkannt hat, im Nachhinein), weil er beim nächsten Kaisermanöver die Ruhr sich geholt hat, in einem von diesen galizischen Sümpfen, so dass man ins Truppenspital ihn hat einliefern müssen, nach Czernowitz - und hinterher, wie er einigermaßen wieder zu Kräften gekommen ist, hat man, aus Gründen vorübergehender Schonung, zu einem deutsch-böhmischen Regiment ihn versetzt, und zwar ausgerechnet nach Reichenberg, zu den Vierundneunzigern in die Stabskanzlei, wo er dann für den Rest seiner militärischen Dienstzeit verblieben ist, weil man ihn dorten vergessen hat. Und da er schon bald sich mit einem hübschen und noch dazu braven Mädel sich verlobt hat, einer gewissen Tschiedl Pauline aus Ober- Berzdorf, mit welcher er sich später auch verheiratet hat, so ist er für alle Zukunft von jeglichem Alkoholismus bewahrt geblieben - welch letzterer zwar, das lässt sich natürlich nicht ausschließen, auch in Galizien möglicherweise hätte der Fall sein können: aber man weiß es nicht."
Zurück zum Seiteninhalt